zur Erinnerung

Mauerfall 09.11.1989 - und was dann?

Der Mauerbau

begann am 13. August 1961. Die Mauer stand bis zu ihrem Fall am 9. November 1989 genau 28 Jahre, zwei Monate und 27 Tage.

5. Februar 2018 Die Mauer ist endgültig Geschichte,

denn ab 5. Februar 2018 ist es schon länger her, dass sie gefallen ist, als sie je gestanden hat. Schon länger ist sie nur noch ein Museumsstück. An der Bernauer Straße in Berlin ist auf über einem Kilometer ihres Verlaufs die zentrale deutsche Mauergedenkstätte entstanden. Der Checkpoint Charlie, einst ein innerstädtischer Grenzübergang, den nur Ausländer passieren durften, zieht bis heute jährlich Millionen an, genau wie der Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor, einst Todesstreifen. Vor den wenigen Mauerteilen, die mitten am heute wieder dicht bebauten Potsdamer Platz die Zeit überdauerten, bleiben auch eilige Passanten oft stehen und halten kurz inne.

Die vier "Sektoren" von Berlin (1945 - 1990)

Vor allem für die, für die der Mauerfall und das Ende der DDR in der Mitte ihres Arbeits­lebens kam, war es schwer. "Sie steckten oft jahrelang in Arbeitslosigkeit und Arbeits­beschaf­fungs­maßnahmen und sind heute von Altersarmut bedroht. Diese Generation trug die größte Last der Wiedervereinigung", sagt der einstige Bürgerrechtler Markus Meckel, 65, der als letzter Außenminister der DDR die Wiedervereinigung mitgestaltete.

Man hätte mehr DDR mit in die Einheit nehmen können

Herr Meckel, Sie sind Jahrgang 1952. Als die Mauer gebaut wurde, waren sie neun Jahre alt, als sie fiel, 37
Ich erinnere mich noch gut an den 13. August 1961. Es waren gerade Schulferien, und unsere Familie machte Urlaub an einem kleinen See bei Brandenburg, als wir dort die Nachricht im Radio hörten. Für uns war das eine Katastrophe, alle Verwandten lebten im Westen. Ich wuchs im Ostteil Berlins auf, wo wir die Mauer später täglich vor Augen hatten. Als sie fiel, war dies das Signal des Erfolgs der friedlichen Revolution. Es gab keinen Weg zurück. Wir waren sicher, wir schaffen es mit der Demokratie, und die Einheit steht auf der Tagesordnung. Gleichzeitig war klar: Hier wollen - und müssen - viele mitreden

Dass es anschließend so schnell zur deutschen Einheit kam, sehen viele vor allem als Verdienst von einem: Bundeskanzler Helmut Kohl
Die Jüngeren haben oft das Bild, Kohl habe praktisch alles allein gemacht, nachdem durch Zufall die Mauer einstürzte. Aber so war es nicht. Der eigentliche Umbruch war die friedliche Revolution in der DDR und in ganz Mittel- und Osteuropa. in Polen, Ungarn, der DDR, der UdSSR. Das Wichtigste waren uns Freiheit und Demokratie - wobei klar war, dass die Mauer zwischen zwei demokratischen deutschen Staaten keinen Bestand hat. Es ging aber zunächst darum, ein demokratisches Land zu schaffen, mit freien Wahlen und einer legitimen Regierung, denn die Einheit war zu verhandeln. Die Errichtung einer Demokratie in der DDR war die Voraussetzung für die deutsche Einheit. Das haben wir geschafft. Die Einheit war dann der selbstbestimmte Wille der Ostdeutschen. Und nicht nur das Werk eines einzelnen "Kanzlers der Einheit".

Sie waren einer derjenigen, die im Namen der Ostdeutschen mit Westdeutschland über die Einheit verhandelten. Was war Ihnen wichtig?
Das größte Problem war es, zwei völlig unterschiedliche Systeme, zwei Gesellschaftsstrukturen, schnell zusammenzubringen. Wichtig war uns von DDR-Seite, dass auch der kleine Mann im Osten Deutschlands, zumindest langfristig, etwas von dieser deutschen Einheit hat, bei allen Härten, die sich ergeben würden. Unsere Verhandlungsposition war natürlich nicht die beste. Die Bundesregierung Kohl war nicht zu wirklichen Veränderungen und Reformen im Zuge der Vereinigung bereit, und auch die große Mehrheit der Ostdeutschen hatte damals kein großes Interesse daran, dass wir lange mit der Bundesrepublik verhandeln. Sie wollten nur schnell die D-Mark und die Einheit, weil sie glaubten - und ihnen versprochen wurde -‚ so komme automatisch der Wohlstand. Dass das alles viel schwieriger werden würde, dämmerte vielen dann erst später.

Markus Meckel

Was lief denn nicht so gut?
Man hätte so manches mehr aus der DDR mit in die Einheit nehmen können. Nicht nur den grünen Pfeil. Nehmen wir die Polikliniken. Heute bauen wir mühsam Ärztehäuser, als wäre das eine neue Erfindung. Oder die Ermöglichung wirklich genossenschaftlicher Strukturen, die ja in der DDR nur so hießen. Auch das umstrittene Prinzip "Rückgabe vor Entschädigung" hat die Investitionen in Ost-deutschland wegen vielfältig unklarer Eigentumsverhältnisse stark behindert und zu einem immensen Vermögenstransfer von Ost nach West geführt, der noch über Generationen nachwirkt. Dann die Frage der Altschulden. Es war doch völlig absurd, dass Betriebe und Kommunen, die ja die früheren Entscheidungen gar nicht zu verantworten hatten, diese Schulden - nun in West-Mark-tragen sollten.

Mit dem Ende der DDR brach auch ein Großteil der DDR-Wirtschaft zusammen. Die wichtigste Herausforderung war es anschließend, den Osten wirtschaftlich wieder flottzumachen. Wie bewerten Sie die Arbeit der Treuhand, deren Job das war?
Viele Privatisierungsentscheidungen waren schlimm. Da bekam oft der letzte Verlierer aus dem Westen für einen Apfel und ein Ei den Zuschlag, und man erließ ihm auch noch die Altschulden. Während es durchaus kompetente Ostdeutsche mit, guten Konzeptionen gab, die Betriebe übernehmen wollten, sie aber oft für schlechtere Konditionen bekamen und Altschulden weiter abtragen mussten. Oder nehmen Sie die westlichen Unternehmen, die ihre Ost-Konkurrenten aufkauften, um deren Märkte zu übernehmen und an der Produktion selbst gar kein Interesse hatten. In Polen oder Tschechien bekamen mehr Einheimische die Chance, Unternehmer zu werden. Die Folgen wirken bis heute nach. Ein Problem ist auch, dass die Steuern für die Produktion im Osten dann an die westlichen Kommunen gingen, wo die Käufer ihren Hauptsitz haben. Es gibt kaum einen größeren Konzern, der seine Zentrale im Osten hat. Auch in der Forschung steht der Osten bis heute hinten an. Weil die großen Konzerne nicht hier sitzen, sind auch deren Forschungsabteilungen nicht hier.

Dafür wurden anders als in Polen oder Tschechien schnell die Löhne und Renten erhöht. Sie sind zwar bis heute nicht auf Westniveau, aber immerhin weit höher als bei unseren östlichen Nachbarn
Es stimmt, die Rentner waren unmittelbar nach der Wiedervereinigung im Osten Deutschlands zunächst große Gewinner - ganz anders als in allen anderen postkommunistischen Ländern. Für diejenigen, die damals aber noch im Arbeitsprozess steckten und erst später in Rente gingen, sah es jedoch ganz anders aus. Sie steckten oft jahrelang in Arbeitslosigkeit und ABM-Maßnahmen und sind heute von Altersarmut bedroht. Diese Generation trägt bis dato die größte Last der deutschen Wiedervereinigung.

Als Außenminister der DDR verhandelten Sie 1990 den Zwei-plus-vier-Vertrag, der den Weg zur Einheit ebnete…
Uns war wichtig, dass nicht über unsere Köpfe hinweg entschieden wird, sondern wir Deutsche in Ost und West die Einheit vereinbaren. Deswegen hieß es auch "zwei plus vier" - die beiden deutschen Staaten und die vier Siegermächte. In dieser Reihenfolge. Natürlich hatten die Alliierten etwas mitzureden, denn beide deutsche Staaten hatten bis dahin nur begrenzte Souveränität. Ein wichtiger Punkt war die künftige Bündniszugehörigkeit des wiedervereinten Deutschlands. Die USA beharrten darauf, dass unser ganzes Land Mitglied der NATO sei. Die Sowjets waren zunächst dagegen. Doch es gelang, Gorbatschow zu überzeugen..

indem ihm was genau versprochen wurde?
Künftige Partnerschaft und manche Milliarden, die er dringend brauchte. Alle sicherheitspolitischen Vereinbarungen aber bezogen sich auf die beiden deutschen Staaten, nicht darüber hinaus, nicht auf die neuen Demokratien in Mittel- und Osteuropa. Es gab nie ein Versprechen, dass diese Länder nicht Mitglied der NATO werden dürften. Es gab nur die Absprache, dass bis zum Zeitpunkt des Abzugs der Sowjettruppen keine NATO-Truppen auf DDR - Gebiet stationiert würden. Dass die baltischen Staaten, Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn heute Mitglied der NATO sind, war deren Wille. Deren Angst und Unsicherheit gegenüber Russland war dafür ein wichtiger Beweggrund. Was wäre denn gewesen, wenn wir ihnen eine solche NATO-Mitgliedschaft verweigert hätten, weil Russland etwas dagegen hat? Das wäre doch faktisch so gewesen wie eine Neuauflage des Hitler-Stalin-Pakts von 1939 - beide teilten damals über die Köpfe der Völker Mittel- und Osteuropas deren Länder mit einem dicken Strich auf der Landkarte in ihre Interessenssphären auf. Und marschierten anschließend dort ein. Genau aus diesen Verbrechen resultiert unsere historische Verantwortung nicht nur gegenüber Russland, sondern gegenüber allen betroffenen Ländern dieser Region. Auch gegenüber der Ukraine.

Die EU ist heute in der größten Krise seit ihrer Gründung kurz nach dem Mauerfall, 1992...
Der Mauerfall und die deutsche Wiedervereinigung waren der erste Schritt zum Zusammenwachsen von Ost und West in ganz Europa. Was wir bei aller Kritik an der EU nicht vergessen sollten: Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, in der Frage der Flüchtlinge, der inneren und äußeren Sicherheit, des Terrorismus, des Klimawandels, können wir nicht mehr nationalstaatlich lösen. Dafür brauchen wir die EU. Ohne sie würden die Staaten Europas, auch die größeren wie Deutschland, in der globale Bedeutungslosigkeit versinken. Wirtschaftlich sind gerade wir Deutsche als Exportnation große Gewinner des EU-Binnenmarktes.


So erinnern sich Deutsche aus Ost und West an die Berliner Mauer und die deutsche Teilung
Westbesuch im "kleinen Grenzverkehr"
Anneliese und Heinz-Gerhard Paul, beide 76, aus Niedersachsen: "Wir wohnten nicht weit von der Grenze, besuchten oft eine Tante in der DDR. Wir interessieren uns bis heute sehr für die ostdeutschen Bundesländer."
Die Zeit danach war chaotisch
Denny Neumann, 41, aus Beelitz. "In der DDR hatte ich eine sorgenfreie Kindheit, es fehlte an nichts. Meine Familie hatte keine Probleme mit irgendwas. Die Zeit unmittelbar nach dem Mauerfall habe ich als chaotisch in Erinnerung. Dass die Mauer weg ist, ist aber toll."
Die Freude und die Wermutstropfen
Silvina Hermann, 65, aus Halle. "Der Jubel 1989 war sagenhaft. Es ist echt gut, dass Deutschland vereint ist. Nur der Ausverkauf des Ostens war deprimierend. Unsere Datsche, in die wir so viel Energie gesteckt hatten, wurde uns weggenommen. Nach der Wende stand einer vor der Tür und sagte, das sei sein Grundstück und wir sollten alles abreißen."


aus Super illu Nr.6 - 01.02.2018



© infos-sachsen / letzte Änderung: - 18.06.2023 - 17:03